Zum Tode von Edgar Guhde am 14.02.2017 in Düsseldorf

Von Prof. Dr. W. Karnowsky

Statt eines an sich so sehr verdienten längeren Nachrufes auf Edgar Guhde, den unermüdlichen Tierrechtler des Politischen Arbeitskreises Tierrechte in Europa e. V., Hamburg/Düsseldorf und den sensiblen Tierschützer in dem Amt eines ideenreichen Kuratoriumsvorsitzenden der Hans-Rönn- Stiftung – Menschen für Tierechte in Düsseldorf  möchten wir den letzten, eindeutig formulierten Willen des lieben Verstorbenen respektieren:

Es sei von einer irgendwie gearteten Trauerfeier oder Zusammenkunft mit Würdigung für ihn abzusehen. Das fällt uns sehr schwer. Edgar Guhde wurde völlig anonym beerdigt. Niemand erfuhr etwas davon. Lediglich der von Edgar Guhde zur völlig Verschwiegenheit auch gegenüber Freunden verpflichtete Bestatter wusste Ort und Zeit des Verstreuens seiner Asche auf einer dafür zugelassenen Rasenfläche irgendwo in Düsseldorf.

Wir sind der Ansicht, dass wir den lieben Verstorbenen besonders ehren, wenn wir alle seine nachfolgend ungekürzten „Erinnerungen an Kindheit und Jugend“ einmal oder mehrmals sehr aufmerksam lesen und auf uns wirken lassen. Dies spricht fast mehr für Edgar Guhde als es jede externe Laudatio vermag. Viele kennen diesen Text von 2007 noch nicht.

Nicht vertraulich ist die Anmerkung, dass Edgar Guhde das Komitee gegen den Vogelmord in Bonn besonders in seinem Testament bedacht hat. Er war immer wieder bis zuletzt erschüttert über die vielen aktuellen  Zeugen-Berichte von Tierschützern zu diesen unglaublichen Verbrechen.

Auch auf den Wikipedia Artikel „ Edgar Guhde“ (insb. Publikationen neben der einprägsamem Biografie) seien hiermit alle Leser besonders hingewiesen.

Politischer Arbeitskreis Tierrechte in Europa e. V. , Elisabeth Petras, 1. Vorsitzende
Prof. Dr. W. Karnowsky, Hans-Rönn-Stiftung – Menschen für Tiere

Ein Vorort im Norden Berlins: Frühjahr 1945. Auf der Reichsstraße 96 nicht enden wollende Flüchtlingstrecks, oft mit ausgemergelten Pferden vor den überfüllten Elends-Wagen. Als Neunjähriger sah ich mir das oft mit an, denn wir wohnten ganz in der Nähe. Bei all dem Schrecklichen der Kriegs- und Nachkriegszeit hat sich mir der Anblick dieser Pferde (von denen im 2. Weltkrieg etwa viereinhalb Millionen (!) allein auf deutscher Seite an den Fronten schwer verletzt umkamen), besonders eingeprägt und bedrückt. Einmal schlug ein Mann mit den Fäusten auf das Maul eines stehen gebliebenen Pferdes ein. Es brach zusammen. Der Mann prügelte weiter, woraufhin ich den nahegelegenen Schlachter herbeiholte, der dem Tier ein, wie ich meinte, kürzeres Sterben verschaffen sollte. Das geschah, aber hinsehen vermochte ich nicht.
Auch der Anblick liegen gebliebener Pferdekadaver (aus denen sich einige Menschen Teile heraus schnitten) prägte sich mir dauerhaft ein.

Mein Vater und ich gingen in verlassene Häuser, wo wir oft verhungerte Haustiere vorfanden – ein schmerzlich-bewegender Anblick, eine Seite des Krieges, die ich später in der zeitgeschichtlichen Literatur nie behandelt fand, so wenig wie all die anderen Heimsuchungen der Tierwelt in jener Zeit. In jenen Tagen beobachtete ich einen umher irrenden Schäferhund mit nur drei Beinen. Mitleid und Hilflosigkeit drückten mich gleichermaßen erneut nieder. Ich wusste nicht, was tun. Kurz darauf lief mir ein Terrier zu, den ich aber nur einige Tage in der Obhut hatte, wurde er doch von einem russischen Militärlaster auf dieser Reichsstraße angefahren. Er starb in meinen Armen. Bei meinen Berlin-Aufenthalten suche ich noch heute die Stelle auf, wo ich ihn begrub. Der Gram, die Niedergeschlagenheit, die ich damals empfand, haben mich im Unterbewusstsein bis heute nicht verlassen.

Mich an die Ferien 1944 in Hinterpommern erinnernd, fallen mir die feuchten, engen und dunklen  Verliese mit den verdreckten kleinen Fenstern ein, in denen Schweine und Kühe ihr Dasein fristeten. Sie taten mir einfach leid. Zu Hause hatten wir eine Hühnerschar im großen Garten, immer mit einem stolzen Hahn dabei. Ihr Herumlaufen und Scharren und ihr Gackern nach dem Eierlegen erfreute mich jeden Tag.

Seit den dreißiger Jahren hatten wir zu Hause eine Blaustirnamazone. Wie ich heute weiß, leider nur eine, denn Papageien sind zumindest paarweise zu halten. Das Tier hatte es zwar gut bei uns, war zutraulich und anhänglich, und es sang von sich aus etliche Lieder, war auch meistens nicht im relativ großen Käfig eingesperrt. Trotzdem tat es mir immer leid, konnten wir doch nicht immer das erforderliche artgemäße Futter besorgen und ihm die Angst ersparen, die es bei jedem Fliegeralarm mit Sirenengeheul und Flakgeschütz-Donner zitternd erlitt.

So waren meine ersten Begegnungen mit Tieren, darunter die zur Bewegungslosigkeit verdammten Kaninchen in den Stallboxen der Nachbarschaft, keineswegs immer ein freudiges Ereignis. Deren Dasein machte mich nachdenklich, warum sie von den Menschen so ausgenutzt und herablassend behandelt werden. Dazu kam das mich ratlos machende Unverständnis der meisten Erwachsenen, wenn ich meinen Kummer über das triste, unfreie Dasein der sogenannten Heim- und Nutztiere äußerte. Warum „sehen“, „erkennen“ manche die Tiere, viele aber nicht? Die verbreiteten materialistischen Einstellungen degradieren die Tiere und sehen in der Rücksichtnahme auf sie nur einen unnötigen Kostenfaktor. Ich glaube, dass diese und ähnliche Erlebnisse wesentlich zu meiner melancholischen Grundstimmung und zum skeptischen, illusionslosen Menschenbild beitrugen. Sind Tierrechte nicht auch ein Menschenrecht?

Im östlichen Teil Deutschlands löste dann eine neue Diktatur die vorangegangene ab. In den fünfziger Jahren wurde mir dort nach und nach bewusst, dass auch die Tiere weiterhin rechtlos waren. Nachfragen, wie es denn wohl in den Tierhaltungen auf dem Land und in den Schlachthäusern zugehe oder wie Tierversuche gemacht würden, stießen auf allgemeines Unverständnis, bei den Regimeleuten sofort auf Misstrauen. Zeitungs- oder Zeitschriftenberichte darüber gab es nicht, weil es sie nicht geben durfte, selbstverständlich auch keine Tierschutzorganisationen, Zeitschriften, gar Bücher zum Tierschutz. Die wenigen Menschen, die sich ebenso wie ich  über dieses Thema Gedanken machten, waren schon deshalb im Nachteil, weil sie sich nicht auf die „Klassiker“ des Marxismus-Leninismus, der alles beherrschenden Staatsideologie, berufen konnten. Im Gegenteil: Hatte doch Karl Marx in Briefen an Friedrich Engels die ersten englischen Tierschützer als „Philister“ verspottet, und Engels hatte die “Demokratisierung des Fleischgenusses“ gefordert.

Ein Arzt berichtete mir damals von seinem Versuch, in einer medizinischen Zeitschrift einen Beitrag zu veröffentlichen, in dem er vorsichtig die besonders grausamen Tierversuche an der Universität problematisierte. Der Text wurde nicht nur abgelehnt – als SED-Mitglied wurde er in seiner Parteigruppe deshalb zur Rede gestellt und mit einer Parteirüge bedacht.

1957 verfasste ich einen regimekritischen Text (in drei Exemplaren) mit Forderung nach einem demokratischen und rechtsstaatlichen Sozialismus, u.a. mit der Forderung nach einem Tierschutzgesetz. Im Geheimverfahren wurde ich dafür zu neun Jahren Zuchthaus wegen „Untergrabung der Staatsordnung“ verurteilt. Das Eintreten für den Tierschutz „bürgerlich-reaktionäre Ideologie“) wurde mir als „Wirtschaftssabotage“ ausgelegt.

In den vielen Veröffentlichungen der DDR-Forscher vor und nach dem Zusammenbruch 1989 blieb der Tierschutz unberücksichtigt. So kommt er selbst in dem verbreiteten Nachschlagewerk „DDR-Handbuch“, hg. vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, trotz seiner 1.280 Seiten der 2. Aufl. 1979 nicht vor. Noch immer spielt diese Seite der SED-Diktatur in der – ohnehin gehemmten  – Aufarbeitung dieser Zeit keine Rolle. Ende

Ulrich Dittmann über Edgar Guhde:

Dipl. Pol. Edgar Guhde  musste sechs Jahre seiner Verurteilung, von 1957 bis 1963, im Zuchthaus „absitzen“. Mehrere Jahre davon in furchtbarer Isolationshaft, ohne irgendwelchen Kontakt zur Außenwelt, in einer winzigen Einzelzelle. „Tierschutz war ein blinder Fleck in der DDR“. Es galt nur die Effizienz, auch bei der „Tierproduktion“.

Wer die totale Ausbeutung der Tiere in Frage stellte, betrieb – laut der Aussage von  Edgar Guhde in seinem vorstehenden und 2007 geschriebenen Beitrag – Wirtschaftssabotage. Die DDR kannte kein Tierschutzgesetz. Tierversuche z. B. waren ohne jede Einschränkung erlaubt. Um so mehr große Hochachtung vor seinem Engagement. Sein ganzes Leben war der Mitgeschöpflichkeit, insbesondere den Ärmsten der Armen, den Tieren, gewidmet.

Ulrich Dittmann (ehemaliger) Arbeitskreis humaner Tierschutz e.V.

8 Kommentare zu “Zum Tode von Edgar Guhde am 14.02.2017 in Düsseldorf

  1. Es sterben traurigerweise eher engagierte Tierschützer und Tierrechtler, die doch so sehr von den Millionen/Milliarden gequälter Tiere gebraucht werden und nicht die, die sterben sollten: die Tierquäler!
    Lieber Edgar: Dich haben die Tiere nun leider als Helfer verloren…

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  2. Wir sind dankbar, diesen großartigen Menschen kennen gelernt zu haben.
    Der Rasseoffene Pyrenäenberghundclub Deutschland e.V
    für alle unverstandenden und auch von Ämtern vor allem aus verachtenbswerten Motiven schwer gequälten Herdenschutzhunde

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  3. Der Tod Edgar Guhdes, ein unermüdlicher Kämpfer für Schutz und Rechte der Tiere aller Gattungen, hinterlässt ein sehr großes Loch in der Tierschutz- und Tierrechtszene. Ein großer Verlust für die Tiere und für nicht-speziesistische Menschen, die ihr Leben darauf ausgerichtet haben, diese Welt etwas besser zu machen und die Rechte der Wehrlosesten einzufordern. Ich hatte zwar nie die Gelegenheit, Edgar Guhde persönlich zu begegnen, aber per Fax, Brief, Mail haben wir viele Jahre Kontakt gehabt und für die Tiere zusammen gearbeitet. Dafür bin ich für immer dankbar.

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