Die ständig unterschiedlichen Interpretationen des „göttlichen“ Wortes

Von Matthias Pöhm

Die Kirche interpretiert über die Jahrhunderte Gottes Wort, das ja angeblich unumstösslich sein soll, ständig anders. Die Frage ist: Wissen die heutigen Christen mehr über den „echten Willen Gottes“ als vor 800, 500 oder 200 Jahren?

Da wurde in den ersten Jahrhunderten des Christentums die Sklaverei als Gottes Wort und Wille definiert, weil in den Paulusbriefen nichts gegen die Sklaverei gesagt wurde – und irgendwann wurde es nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurden irgendwann gemäss der Bibel die damaligen Kreuzzüge zur Eroberung vom Heiligen Land zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurde ab 1650 das Alter der Erde gemäss Bibel auf 6000 Jahre als Gottes Wort und Wille definiert und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurden irgendwann die damaligen Hexenverbrennungen zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, („eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen„, Ex 22,17) und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurden irgendwann die Zwangsmissionierung von Inkas, Mayas, Azteken zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurde im Mittelalter das Auftreten der Pest durch Satan persönlich verursacht, zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, und Jahrhunderte später nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurde es zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, dass alle Tierarten von Gott mit einem Schlag erschaffen wurden, und dann war es plötzlich nicht mehr Gottes Wort und Wille, sondern die Evolution.

Da wurde irgendwann die Tatsache, dass gemäss der Bibel die Erde der Mittelpunkt der Erde ist, zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurde irgendwann die Existenz des „Limbus“, die Vorhölle für ungetaufte Kinder, zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurde irgendwann das Verbot Freitags kein Fleisch zu essen, zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurde irgendwann gemäss Bibel die „Todsünde“ Zinsen für geliehenes Geld zu nehmen, als Gottes Wort und Wille definiert, und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurde irgendwann die Existenz des Fegefeuers zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Da wurde irgendwann die Praxis für ein Entgelt die Sünden zu erlassen (der sogenannte Ablasshandel) zunächst als Gottes Wort und Wille definiert, und irgendwann nicht mehr als Gottes Wille angesehen.

Alles das, genauso wie sein Gegenteil, wurde aus der Bibel herausgelesen.

Aber damit noch lange nicht genug, denn: Zig-tausend christliche Glaubensrichtungen haben zig-tausend unterschiedliche Auslegungen.

Dann gibt es ja ausser den Katholiken und evangelischen Christen noch zehntausende andere christliche Glaubensrichtungen, die alle wieder etwas anderes aus der Bibel herauslesen. Da wurde bei den Zeugen Jehovas das Blutspenden als sündenfreies gottesfürchtiges Handeln definiert, und dann 1944 plötzlich das Blutspende-Verbot als Gottes Wille definiert. Da wurde die Wiederkehr Jesu 6 mal genau berechnet (1878, 1881, 1914, 1918, 1925, 1975) und danach wurde definiert, dass Gottes diesbezüglicher Wille nicht mehr aus der Bibel zu berechnen ist.

Die Beispiele der wechselnden Regeln von Gottes Wort und Gottes Wille in den letzten 2000 Jahren sind unendlich.

Und diese beliebig frei heraus-interpretierten ständig wechselnden Regeln dieses angeblich sich nie ändernden Gottes werden nicht aufhören. Alles das, woran 2 Milliarden Katholiken und Protestanten heute noch glauben, darüber wird man in 50 Jahren einmal schmunzeln. Und das, woran die Christen in 50 Jahren immer noch glauben, darüber wird man in 100 Jahren schmunzeln. (Wenn sich im Laufe der 2000 Jahre auch nur eine einzige der Interpretationen, Regeln geändert hätte, wäre das schon der Beweis für die Hinfälligkeit von einem widerspruchsfreien, unumstösslichen Willen Gottes)