Denn sie wissen nicht, was sie glauben (Teil 21)


Wird das Alte Testament durch das Neue Testament eventuell «aufgehoben», «geheilt», «überhöht» (für ein «Gotteswort» eigentlich eine Unmöglichkeit, aber denken wir einmal diese theologische Unmöglichkeit)? Gibt es nicht doch fundamentale Unterschiede zwischen Altem und Neuem Testament, was den Umgang mit normabweichendem Verhalten, mit Frevlern, Sündern usw. angeht?

Die Überprüfung wesentlicher neutestamentarischer Aussagen im Hinblick auf diese Frage zeigt, daß auch die in diesem Zusammenhang zitierbaren und immer wieder zitierten positiven Aussagen zum Verzeihen und zur Feindesliebe eng gekoppelt und eingebunden sind in einen sich ganz folgerichtig aus dem alttestamentarischen Gottesverständnis ergebenden Hintergrund der gewalttätigen Bestrafung des Sünders, die gipfelt in der nicht mehr überbietbaren exzessivsten Strafe der ewigen Höllenqualen für teilweise auch relativ geringe zeitliche Vergehen.

Daß auch die Interpretation des Kreuzestodes als Sühneopfer und Erlösungstat, das zentrale Ereignis für alle christlich-biblischen Religionen, überhaupt nur auf dem Hintergrund eines auf Strafe bedachten gewalttätigen alttestmentarischen Gottes psychologisch erklärbar wird, auf diesen nur durch frühkindliche und permanent fortdauernde Indoktrination nicht mehr sichtbaren, aber eigentlich offen zutage liegenden Tatbestand wird noch im einzelnen einzugehen sein.

Stellt man die oft ganz anderen Entstehungsanlässe der einzelnen Schriften und den im Vergleich zum Alten Testament viel geringeren Gesamtumfang in Rechnung, so fällt zunächst die Anzahl einschlägiger, d.h. hinsichtlich der Einstellung von Gewalttätigkeit und Strafbedürfnis kritischer Stellen angesichts des durch die modernen Kirchen ganz anders vermittelten Bildes des Neuen Testamentes um so stärker ins Gewicht.

Fortsetzung folgt ……

Denn sie wissen nicht, was sie glauben (Teil 20)


Die düstere Atmosphäre der Drohungen mit exzessiven Strafen, häufig bis zur Venichtung, die auch dieses zentrale Buch der Heiligen Schrift, der von Gott geoffenbarten höchsten religiösen und ethischen Normenquelle aller christlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften, kennzeichnet, dürfte mit diesen, durchaus vermehrbaren Zitaten deutlich geworden sein.

Sie verliert nicht ihr m.E. im Hinblick auf eine heute noch redlich vollziehbare, biblisch begründete Religiosität vernichtendes Gewicht durch die, wie sollte es bei einem Produkt menschlicher Projektion anders sein, ebenfalls zu findenden, im Gesamt eher zurücktretenden tröstlich-positiven Abschnitte; denn diese sind, soweit überhaupt vorhanden, eingebettet in die beschriebene allgemeine, alles durchdringende düstere Atmosphäre rächender und strafender Gewalttätigkeit (sowohl im Gesamt des Buches Jesaia wie auch der fünf Bücher Mose oder der Psalmen) und häufig auch durch eine jeweils enge textliche Verzahnung mit dieser amalgamiert:

«Der Herr wird die Ägypter zwar schlagen, er wird sie aber auch heilen: Wenn sie zum Herrn umkehren, läßt er sich durch ihre Bitte erweichen und heilt sie» Jes. 19; 22).

Wie untrennbar die auch eher seltenen «positiven» Stellen in die durchgehend fast als selbstverständlich dargestellte Atmosphäre inhuman-archaischer Straf- und Rachsucht eingebunden sind – eine Tatsache, die, wie schon oben angeführt, nur durch eine hochselektive kirchliche Zitierpraxis und ein jahrhundertelanges Verbot der Kirche für Laien, die Bibel zu lesen, weitgehend verborgen bleiben konnte -, zeigt sehr anschaulich das Schlußkapitel, mit dem das Buch Jesaia endet:

«Wie diese Menschen ihre eigenen Wege wählen und an ihren Gottesbildern Gefallen haben, so wähle ich für sie die Strafe aus und bringe über sie Schrecken. Denn sie gaben keine Antwort, als ich sie rief, als ich zu ihnen redete, hörten sie nicht; sondern sie haben getan, was mir mißfällt, und sie haben sich für das entschieden, was ich nicht will . . . Horcht: Getöse dringt aus der Stadt, Getöse aus dem Tempel. Horcht: Der Herr vergilt seinen Feinden ihr Tun. Freut euch mit Jerusalem! Jubelt in der Stadt, alle die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, alle die ihr über sie traurig ward. . . Denn so spricht der Herr: „Seht her: Wie ein Strom leite ich den Frieden zu ihr und den Reichtum der Völker wie einen rauschenden Bach. Ihre Kinder wird man auf den Armen tragen und auf den Knien schaukeln: Wie eine Mutter ihren Sohn tröstet, so tröste ich euch; in Jerusalem findet ihr Trost.Wenn ihr das seht, wird euer Herz sich freuen, und ihr werdet aufblühen wie frisches Gras.“ So offenbart sich die Hand des Herrn an seinen Knechten, aber seine Feinde wird er bedrohen. Ja, seht, der Herr kommt wie das Feuer heran, wie der Sturm sind seine Wagen,um in glühendem Zorn Vergeltung zu üben, und er droht mit feurigen Flammen. Ja, mit Feuer und Schwert hält der Herr Gericht über alle Sterblichen und viele sind es, die der Herr erschlägt . . . Wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich erschaffe, vor mir stehen – Spruch des Herrn -, so wird euer Stamm und euer Name da stehen. „An jedem Neumond und an jedem Sabbat wird alle Welt kommen, um mir zu huldigen“, spricht der Herr. „Dann wird man hinausgehen, um die Leichen derer zu sehen, die sich gegen mich aufgelehnt haben. Denn der Wurm in ihnen wird nicht sterben, und das Feuer in ihnen wird niemals erlöschen; ein Ekel sind sie für alle Welt“» Jes. 66; 3, 4, 6, 10-16, 22-24).

Zieht man aus den fünf Büchern Mose, aus den Psalmen und dem Buch Jesaia als Kernstücke des Alten Testaments bzw. aus den hier angeführten Zitaten ein erstes Fazit, so zeigt sich insgesamt eine weitgehend durchgängige Einstellung, normabweichendes Verhalten durch barbarische Strafen bis hin zur physischen Vernichtung oder durch deren Androhung zu «bewältigen» (fürwahr ein göttlich-moralisches Modell!). Daß diese Einstellung nicht nur vereinzelt vertreten wird, sozusagen eine «Panne» oder einen «Betriebsunfall» darstellt, sondern weitgehendst die hier herangezogenen Kernbücher des Alten Testamentes kennzeichnet, dürfte die Fülle der angeführten – durchaus noch vermehrbaren – Zitate gezeigt haben.

Ihr argumentatives Gewicht gegen die Bibel als Normenquelle göttlichen Ursprungs, als einem heutigen Menschen auch nur bescheidenen humanen ethischen Standards noch zumutbare «göttliche Offenbarung», wird auch durch die ebenfalls zu findenden, wenngleich insgesamt eher zurücktretenden human oder ethisch positiv zu bewertenden Stellen nicht aufgehoben: Es wäre psychologisch ganz unwahrscheinlich, daß die Bibel gerade als menschliches Produkt ober Ergebnis einer Projektion menschlicher Zuständlichkeiten und Weltinterpretationen in ein höheres Wesen, eben Gott, ethisch und human nur negativ zu beurteilende Aussagen enthielte. Aber: Ein Buch, das den Anspruch erhebt, eben nicht nur menschlichen Ursprungs, sondern (gar in «allen ihren Teilen») göttlich inspirierter Basistext und letzte Leitlinie und Instanz ethisch-moralischen und religiösen Denkens und Handelns zu sein, darf nicht in diesem großen Ausmaß exzessiv inhuman-archaische Projektionen, Modelle, Leitbilder enthalten.

Dies muß sich äußerst verhängnisvoll auswirken und hat sich so ausgewirkt: Die wirkliche, nicht die in unseren Schulen hochselektiv gelehrte Kirchengeschichte ist voller Belege. Auch das manchmal von theologischer Seite angeführte apologetische Argument, Gott habe sich dem Entwicklungsstand des (frühen) Menschen in seiner Verkündigung anpassen müssen, ist von kaum zu überbietender Kurzschlüssigkeit: Gott, allmächtig und unendliche Liebe, wäre als absolut souveräner Schöpfer auch für den entsprechenden inhuman-archaischen Entwicklungsstand und seine grauenhaften Implikationen verantwortlich, ganz abgesehen davon, daß eine solche Argumentation der Tatsache, daß der biblische Gott selbst ausdrücklich exzessiv inhumanes Verhalten befiehlt, selbst modellhaft ausführt oder damit droht, in keiner Weise gerecht wird.

Auch die immer wieder versuchte Relativierung des Alten Testamentes gegenüber dem Neuen Testament kann nicht befriedigen. Denn: «Die Bibel (griechisch biblos = Buch) oder die Heilige Schrift ist eine Sammlung von Büchern, die das Alte und Neue Testament umfaßt. Das Alte Testament wird von Juden und Christen als Offenbarungsurkunde betrachtet. Die Bücher des Alten Testamentes stammen von Verfassern, durch die Gott zu den Menschen spricht und durch die das Volk Israel seinen Glauben an die Heilstaten und Verheißungen Gottes bekennt. Juden und Christen glauben an die Inspiration (Eingebung) dieser Bücher durch den Geist Gottes.Das Verzeichnis der Bücher, die zur Heiligen Schrift gehören, nennt man Kanon (griechisch kanon = Maßstab), weil sie den Maßstab für den Glauben darstellen. Jesus und seine Jünger übernahmen die Bücher der Heiligen Schrift, wie sie ihr Volk kannte, und beriefen sich in ihrer Botschaft auf sie als auf das Wort Gottes»

Auch das Alte Testament ist nach allgemeiner Glaubensaussage so gut wie aller christlichen Kirchen wie auch nach der ihm offenbar selbstverständlichen Auffassung Jesu, der Apostel und ersten Anhänger das Wort des sich nach allgemein christlicher Lehre stets gleichbleibenden Gottes. Auch das Alte Testament wird so folgerichtig, und zwar in seiner Gesamtheit, von den Kirchen und christlichen Konfessionen wie kein anderes Buch weltweit verbreitet als Gottes Wort und Gebot.

Fortsetzung folgt …….

Denn sie wissen nicht, was sie glauben (Teil 19)


Das Buch Jesaia: Ein Gott, der weder «mit Witwen und Waisen Erbarmen hat» und dessen Gewand mit dem Blut der «Geschlachteten» bespritzt ist

Wie wenig vereinzelt, wie umfassend vielmehr die hier angesprochene archaisch inhumane, gewalttätige, straf- und vergeltungssüchtige Einstellung das biblische Gottes- das Weltverständnis bestimmt, kann ein Blick auf das dritte Kernstück des Alten Testamentes zeigen, das Buch Jesaia.

Auch hier findet sich weitgehend eine bedrückende Atmosphäre der Straf- und Gewaltandrohung, im schroffen Widerspruch zu der gerade mit Jesaia aufgrund einer hochselektiv erfolgenden entsprechenden religiösen Sozialisation eng verbundenen Assoziation von freudig-friedlicher Advents-und Weihnachtsstimmung.

So findet sich etwa im Kapitel 9, das die berühmten, wieder fast nur sehr selektiv zitierten und von den christlichen Kirchen auf Jesus bezogenen (Advents-)Verse enthält:

«Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht» (Jes. 9; 1) und «Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt . . . » (Verse 5 und 6), schon wenige Verse weiter die Beschreibung erbarmungsloser Bestrafung durch Gott:

«Da stachelte der Herr Jakobs Gegner auf und hetzte seine Feinde gegen ihn … Und sie fraßen Israel mit gierigem Maul …Die Führer dieses Volkes sind Verführer; wer sich von ihnen führen läßt, wird in die Irre geleitet. Deshalb verschont der Herr weder die Männer, noch hat er mit den Witwen und Waisen Erbarmen. Denn alle sind ruchlos und böse; aus jedem Mund kommt verruchtes Geschwätz. Doch bei alldem läßt sein Zorn nicht nach, seine Hand bleibt ausgestreckt … Der Zorn des Herrn der Heere versengte das Land; das Volk wurde ein Raub der Flammen…» Jes. 9; 10, 11, 15, 16, 18).

Und nur wenige Verse weiter findet sich wieder das Bild des gewalttätigen göttlichen Zuchtmeisters: «Weh, Assur, dem Stock meine Zorns! Es ist der Knüppel in meiner wütenden Hand. Gegen ein ruchloses Volk schicke ich ihn, auf die Nation, der ich zürne, lasse ich ihn los, damit er Beute erbeutet und raubt wie ein Räuber, sie zertritt wie den Staub auf den Straßen … Die Vernichtung ist beschlossen, die Gerechtigkeit flutet heran. Ja, Gott, der Herr der Heere, vollstreckt auf der ganzen Erde die Vernichtung, die er beschlossen hat» Jes. 10; 5, 6, 22, 23).

Diese Botschaft der Androhung exzessiver Strafen bis zur erbarmungslosen Vernichtung selbst von Kindern setzt sich im Kapitel 13, aus dem wir oben schon zitierten, in kaum noch zu steigernder Grausamkeit fort .

Auch die anderen Teile des Buches Jesaia vermitteln uns nicht gerade eine adventlich-weihnachtliche «Frohe Botschaft»:

«Seht her! Der Herr verheert und verwüstet die Erde; er verändert ihr Gesicht und zerstreut ihre Bewohner … Alle, die einst so heiter waren, seufzen und stöhnen. Verstummt ist der fröhliche Klang der Trommeln, der Lärm der Übermütigen ist zu Ende, verstummt ist der fröhliche Klang der Zither … Jede Freude ist verschwunden . . .» Jes. 24; 1, 7, 8, 11).

«Denn ich habe es von Gott, dem Herrn der Heere, gehört: Die Vernichtung der ganzen Welt ist beschlossen» Jes. 28; 22). «Seht her, der Herr kommt aus der Ferne. Sein Zorn ist entflammt, gewaltig drohend zieht er heran … Er spannt die Völker ins Joch und legt den Nationen den Zaum an, um sie in die Irre und ins Unheil zu fuhren … Vor der Stimme des Herrn wird Assur erschrecken, wenn er zuschlägt mit seinem Stock, jedes Mal, wenn die Zuchtrute auf Assur herabsaust, mit der der Herr auf es einschlägt» Jes. 30; 27, 28, 31, 32). «Mein Atem ist wie ein Feuer, das euch verzehrt. Die Völker werden zu Kalk verbrannt. Sie lodern wie abgehauene Dornen im Feuer. Ihr in der Ferne, hört was ich tue; ihr in der Nähe, erkennt meine Kraft!» Jes. 33; 11-13).

«Er macht die Rache zu seinem Gewand … Wie es die Taten verdienen, so übt er Vergeltung; er zürnt seinen Gegnern und vergilt seinen Feinden; bis hin zu den Inseln übt er Vergeltung» Jes. 59; 17, 18). «Denn jedes Volk und jedes Reich, das dir nicht dient, geht zugrunde, die Völker werden völlig vernichtet» Jes. 60; 12).

Besonders hart straft dieser Gott wieder Menschen, die sich nicht für ihn, sondern für andere Gottheiten entscheiden (also das Grund-und Menschenrecht der freien Religionsausübung wahrnehmen):

«Euch aber, die ihr den Herrn verlassen, meinen heiligen Berg vergessen, dem Glücksgott den Tisch gedeckt und dem Gott des Schicksals den Weinkrug gefüllt habt, überantworte ich dem Schwert: Ihr müßt euch alle ducken und werdet geschlachtet … Ihr habt getan, was mir mißfällt, und habt euch für das entschieden, was ich nicht will … Ihr werdet schreien vor Herzeleid und heulen vor Verzweiflung. Ihr müßt euren Namen dazu hergeben, daß meine Auserwählten ihn beim Eid als Fluchwort gebrauchen und sagen: Genauso töte dich Gott, der Herr» Jes. 65; 11, 12, 14, 15).

Daß auch schon geringfügigere Anlässe (wie etwa weibliche «Eitelkeit» und Freude, sich zu schmücken) die Straf- und Vergeltungssucht dieses biblischen Gottes auslösen können, zeigt im übrigen etwa Kapitel 3; 16-5.

Gravierend erscheint auch hier wieder der Umstand, daß Gott selbst die Verhärtung und Verstockung des Volkes bewirkt, «damit es sich nicht bekehre und nicht geheilt werde» (und so das Strafbedürfnis des biblischen Gottes bzw. des Bibelschreibers und -lesers befriedigt werden kann):

«Da sagte er (der Herr): „Hören sollt ihr, hören, aber nicht verstehen. Sehen sollt ihr, sehen, aber nicht erkennen. Verhärte das Herz dieses Volkes, verstopf, ihm die Ohren, verklebe ihm die Augen,damit es mit seinen Augen nicht sieht und mit seinen Ohren nicht hört, damit sein Herz nicht zur Einsicht kommt und sich nicht bekehrt und nicht geheilt wird.“ Ich fragte: „Wie lange, Herr?“ Er antwortete: „Bis die Städte verödet sind und unbewohnt, die Häuser menschenleer, bis das Ackerland zur Wüste geworden ist.“ Der Herr wird die Menschen weit weg treiben: dann ist das Land leer und verlassen. Bleibt darin noch ein Zehntel übrig – auch sie werden schließlich vernichtet…» Jes. 6;9-13). «Warum läßt du uns,Herr, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, so daß wir dich nicht mehr fürchten?» Jes. 63; 17).

Fortsetzung folgt …….