Dr. Gunter Bleibohm: Das staatliche Steuerungssystem

Um Vorgehensweise und Systematik politischer Steuerungssysteme grundlegend zu verdeutlichen, sei ein kleiner Exkurs erlaubt. Michel Foucault beschreibt in seinem Werk „Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses“ die perfide Methode des Panopticons, dessen Erfinder gegen Ende des 18. Jahrhunderts Jeremy Bentham war.

Sein Prinzip ist bekannt: an der Peripherie ein ringförmiges Gebäude; in der Mitte ein Turm, der von breiten Fenstern durchbrochen ist, welche sich nach der Innenseite des Ringes öffnen; das Ringgebäude ist in Zellen unterteilt, von denen jede durch die gesamte Tiefe des Gebäudes reicht; sie haben jeweils zwei Fenster, eines nach innen, das auf die Fenster des Turms gerichtet ist, und eines nach außen, so dass die Zelle auf beiden Seiten von Licht durchdrungen wird. Es genügt demnach, einen Aufseher im Turm aufzustellen und in jeder Zelle einen Irren, einen Kranken, einen Sträfling, einen Arbeiter oder einen Schüler unterzubringen. Vor dem Gegenlicht lassen sich vom Turm aus die kleinen Gefangenensilhouetten in den Zellen des Ringes genau ausnehmen. Jeder Käfig ist ein kleines Theater, in dem jeder Akteur allein ist, vollkommen individualisiert und ständig sichtbar. Die panoptische Anlage schafft Raumeinheiten, die es ermöglichen, ohne Unterlass zu sehen und zugleich zu erkennen. Das Prinzip des Kerkers wird umgekehrt, genauer gesagt: von seinen drei Funktionen – einsperren, verdunkeln und verbergen – wird nur die erste aufrechterhalten, die beiden anderen fallen weg. Das volle Licht und der Blick des Aufsehers erfassen besser als das Dunkel, das auch schützte. Die Sichtbarkeit ist eine Falle.

Daraus ergibt sich die Hauptwirkung des Panopticon: die Schaffung eines bewussten und permanenten Sichtbarkeitszustandes beim Gefangenen, der das automatische Funktionieren der Macht sicherstellt. Die Wirkung der Überwachung ist permanent, auch wenn ihre Durchführung sporadisch ist; die Perfektion der Macht vermag ihre tatsächliche Ausübung überflüssig zu machen; der architektonische Apparat ist eine Maschine, die ein Machtverhältnis schaffen und aufrechterhalten kann, welches vom Machtausübenden unabhängig ist; die Häftlinge sind Gefangene einer Machtsituation, die sie selber stützen. …

Zu diesem Zweck hat Bentham das Prinzip aufgestellt, dass die Macht sichtbar, aber uneinsehbar sein muss; sichtbar, indem der Häftling ständig die hohe Silhouette des Turms vor Augen hat, von dem aus er bespäht wird; uneinsehbar, sofern der Häftling niemals wissen darf, ob er gerade überwacht wird; aber er muss sicher sein, dass er jederzeit überwacht werden kann. … Diese Anlage ist deswegen so bedeutend, weil sie die Macht automatisiert und ent-individualisiert.“

Konturen einer Ethik für freie Geister (1)

Ich habe mich niemals darum bemüht, den Leuten zu gefallen. Denn was ihnen gefiel, habe ich nicht gelernt und was ich mir angeeignet habe, das lag weitab vom Begreifen der Leute. (Epikur, Brief an einen unbekannten Adressaten)

Vorbemerkung:

Dieser Text folgt in seinem Aufbau dem „Katechismus“ von Epikur. Ich verspreche mir von dieser Struktur ein Mehrfaches. Zum einen ermöglicht es, die Kernthesen des Gedankengebäudes schnell zu repetieren, zu ruminieren und damit im täglichen Leben präsent zu halten; insofern greife ich die Tradition der praktischen Philosophie als Vademecum des Alltags wieder auf. Zum anderen vermeidet diese Art der Darstellung, in Erklärungen und Wortdrechseleien zu verflachen. Der völlige Verzicht auf füllende Erklärungen behindert gewollt ein schnelles, ein oberflächliches Lesen und fordert eine breite Wissensbasis als Voraussetzung.

Die Möglichkeit, die angesprochenen Gedanken durch eigene Erkenntnisse zu erweitern, zu vervollkommnen ist damit erhalten, gar vergrößert; der Text mag somit nur als Wegweiser verstanden sein. Mögen andere mit größerer Fähigkeit und Kraft die Thesen ergänzen, verbessern, verkünden – ich habe sie letztlich für mich geschrieben. Die Sentenzen möchte ich auch als offenes, als lebendes Traktat verstanden wissen, als eine Schrift, die sich im Zeitablauf bei veränderter Sichtweise weiterentwickeln kann und verändern soll.

Nahezu alle Gedanken sind an der einen oder anderen Stelle in der Philosophiegeschichte partiell gedacht worden; das möchte ich in aller Redlichkeit, aber auch Dankbarkeit vermerken. Ich aber habe versucht, diese Überlegungen in ein neues, stringentes Gebäude einzufügen, das dem bisherigen Denken eine andere Sichtweise, eine andere Relation, eine andere Wahrheit entgegenstellt.

Die Grenzen der vermeintlichen Bedeutung von Leben schlechthin sollen vor einem absoluten Hintergrund beleuchtet werden. Die Gleichwertigkeit jeglichen Lebens wird postuliert, der Mensch vom Sockel der Einmaligkeit gestürzt, die Tierwelt als ebenbürtiger Bestandteil in eine umfassende Ethik der Leidensminimierung einbezogen.

Diese universelle Sichtweise fordert aber tiefe Selbsterkenntnis – ja sogar tiefe Demut – und kann vermutlich nur von denen verstanden werden, die vergleichbare Gedanken selbst bereits geahnt und gefühlt haben.

Ich wende mich also nur an die Wenigsten, an die Minorität der Erkenntniswilligen, an den Orden der ungebundenen Geister, an diejenigen, die der menschlichen Hybris abgeschworen haben.

Abseits des leeren Zeitgeschwätzes von Politik, Wirtschaft und täglichen Konflikten wollte ich eine Ruhezone, ein Reservat, vielleicht sogar eine Fluchtburg schaffen, wo man ohne mystische Gaukeleien, sondern allein mit Logik, Vernunft und Mut zur Erkenntnis dem eisigen Wind des Seins und seiner Belanglosigkeit trotzen kann.

Die Freiheit dieses Weges ist ungeheuer, ebenso die Einsamkeit. Aber was liegt an einer Gesellschaft, deren Sprache ich nicht spreche, was liegt an Begleitern, die mich nicht verstehen können oder nicht verstehen wollen.

(Fortsetzung am nächsten Sonntag ….. )

Dr. Gunter Bleibohm: Klarstellungen

G e h a l t

In der Welt des Geistes richtet sich die Höhe des Gehalts nicht selten nach der Qualität des intellektuellen Outputs. Verwundert es deshalb, dass Journalisten meist sehr schlecht bezahlt werden?

F e s s e l

Nur Menschen kennen Religion als Fesselung des eigenen Geistes. Tiere nicht. Das Tier hat sich dadurch seine Wesensfreiheit bewahrt.

Q u a n t i t ä t

Demokratie ist ein System, das die Quantität zum Götzen erhoben hat. Der Erfolgsmaßstab des Handelns ist die Quantität der Anhänger, nie deren Qualität. Die Qualität von Entscheidungen ist folglich sekundär geworden und tendiert zwangsläufig zur untersten Mittelmäßigkeit, zur intellektuellen Niveauabsenkung. Dies könnte man als die schiefe Ebene der Demokratie bezeichnen, die Ebene, auf welcher die Kugel von Geist und Freiheit permanent nach unten rollt.

K a v i a r

Einen tieferen oder anspruchsvolleren Gedanken in der Welt zu verankern, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, sofern man dafür nicht Jahrhunderte Zeit hat. Es kann deshalb niemals Ziel des Schreibens sein, Caviar for the vulgar (Schopenhauer, Senilia) zu servieren oder wie Shakespeare im Originaltext des Hamlet (2,2) schrieb: „For the play, I remember, pleas´d not the million,´twas caviare to the general.“ Allein der Erkenntnisweg und die eigene Seelenhygiene muss zum Schreiben Motivation genug sein.

U n t e r s c h i e d

Das Schwein verendet normalerweise unter den Händen des Schlächters und wandelt sich – im eigenen Darm verpackt – in Wurst um, um dann im Magen des menschlichen Käufers seine Metamorphose zu vollenden. Es wird durch Verdauung ein Menschenteil und darf deshalb, da Menschenbestandteil und damit göttliches Ebenbild geworden, auf seine Auferstehung ins ewige Leben hoffen.

Der Mensch hingegen verendet nicht, sondern verstirbt, meist unter den Händen eines Arztes. Im Kriegsfall hingegen verstirbt der Mensch nicht, sondern er fällt fürs Vaterland. Ein Unterschied im Sterben zwischen „verenden“ und „fallen“ ist aber in der Realität oftmals nicht feststellbar.

Seine körperliche Metamorphose erfolgt, anders als beim Schwein und unabhängig ob „verstorben“ oder „gefallen“, entweder durch Würmer – er wird Wurmfutter – oder durch das Feuer im Krematorium. Seine Asche düngt dann eines Tages die Friedhofsblümchen.

Im Zeitpunkt seines Todes hat der Mensch dem Schwein aber etwas Entscheidendes voraus. Während die Schweineseele zwecks Auferstehung den Umweg als Schnitzel oder Wurst wählen muss, kann die Seele des Menschen direkt gen Himmel fahren und darf sofort auf ewiges Leben hoffen mit der kleinen, aber wichtigen Einschränkung, dass ihm auch ewige Verdammnis drohen könnte.

Soweit in gebotener Kürze der Unterschied zwischen Schwein und Mensch.

Fazit für den Normalfall: Das Schwein endet im eigenen Darm, der Mensch in der eigenen überheblichen Dummheit.