Sahnetorte

Von Hilal Sezgin

Der Backlash ist da. Die Fortschritte der Tierrechtsbewegung waren in den letzten Jahren beachtlich, in den Augen der Gegner aber wohl eher erschreckend. Alle Fernsehsender zeigten Bilder vom Leid der Tiere in Schlachthöfen und Ställen. Jeder weiß heute, was vegan ist und warum manche Menschen keine Tiere mehr essen. Landauf, landab wird diskutiert, ob man Tiere essen dürfe und – wenn jein – wie arg gequälte und wie viele.

Am liebsten „bewusst“ isst man heute Tiere, und natürlich „ganz wenig, und immer nur bio“. Es gibt kaum einen Fleischi, der frohgemut verkünden würde, man solle so viele Tiere wie möglich züchten, einsperren und verzehren. Nein, das schlechte Gewissen schwingt mit, der Wurm ist drin.

Und darum der Backlash. Am augenfälligsten finde ich, die ich mir bereits als Feministin einige Absurditäten anhören durfte, dass ich fürs Vegansein fast dasselbe zu hören bekomme: Wir sind Spaßbremsen und „lustfeindlich“! Und so wie man einst Feministinnen vorwarf (vorwirft?), sie seien gegen Sex, so wird heute gehöhnt, Veganer seien insgeheim wohl gegen Essen.

Bloß haben wir Veganer leider noch keinen Weg gefunden, ganz ohne feste Nahrung auszukommen, darum nagen wir bis dahin notgedrungen an Gemüse. Sicher haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, uns dabei schon gesehen. Wenn nicht in natura, so zeigen doch alle Zeitungen und Magazine regelmäßig Fotos von Veganern und Veganerinnen mit jeweils einer Möhre, letztere vorzugsweise quer durch die vegane Schnute. Ein weiteres beliebtes Motiv: Ein Veganer sinniert vor einem großen, weißen Teller, auf dem eine einzige Erdbeere platziert ist.

„Darf ich oder darf ich nicht (diese eine kleine Erdbeere essen)?“ Ja, darüber kann unsereiner so lange nachdenken wie Hamlet über die Existenz im Ganzen. Dann: „Heute lass ich’s mal krachen und gönn ich mir nach der Möhre eine Beere!“ So schrecklich darben wir lustfeindlichen Veganer.

Weit verbreitet ist auch die Annahme, ach was, das Allerweltswissen, dass Veganismus oft mit Essstörungen einhergehe. Tatsächlich stimmt nur, dass sich Essstörungen bisweilen hinter Veganismus verbergen können, dass aber die Zahl der Essstörungen unter Flexitariern größer ist. Dazu gibt es, wie zu allem, Studien. Aber wer liest schon Studien, die die eigenen Vorurteile widerlegen könnten? Die allerweltsgewussten Essstörungen der Veganer kommen schließlich dem Backlash so gerufen wie einst die „Frigidität“ der Feministinnen.

Doch halt, hier liegt das Missverständnis: Wir Feministinnen sind gar nicht gegen Sex, wir sind nur gegen nicht einvernehmlichen Sex und denken, dass es jenseits patriarchaler Gewaltverhältnisse eine schönere Sinnlichkeit zu entdecken gibt. Ebenso sind wir Veganer und Veganerinnen nicht gegen das Essen, sondern gegen Mahlzeiten, die Zwang und Tötung erforderlich machen. Wir empfinden Freude dabei, neue Speisen und Lebensweisen zu entwickeln, denen keine Gewaltakte vorausgehen.

Doch was macht jemand, dem man erklärt, was er traditionell als Spaß empfinde, beinhalte eigentlich Gewalt gegen einen anderen? Richtig, er tritt die Flucht nach vorn an, benimmt sich, als gehe es ihm selbst an den Kragen, und ruft: „Das lasse ich mir nicht verbieten!“ Erst jüngst erklärte mir wieder einmal eine Dame mittleren Alters nach einem Vortrag, sie wolle sich das Fleischessen „nicht verbieten“ lassen. Fleischessen sei okay und ganz natürlich. Sie esse auch „nicht viel Fleisch“, aber warum sie keines essen solle, sehe sie nicht ein.

Ich wies sie darauf hin, dass sie ja wohl zumindest ein gewisses ethisches Problempotenzial zugestehe, sonst wäre die Beteuerung, sie verzehre nur wenig Fleisch, nicht so wichtig. Sie nahm sich demonstrativ ein Stück Sahnetorte und wir verabschiedeten uns im Guten.

Eine Woche später erhielt ich eine E-Mail. Von dieser Dame. „Seit Ihrem Vortrag esse ich kein Fleisch mehr. Es geht einfach nicht mehr. P. S. Ich bin die mit der Sahnetorte.“

Solche Menschen sind natürlich die Ausnahme. Ein Glücksfall, dabei zu sein, wenn jemand anscheinend schon vor längerem ins Nachdenken geraten ist, sich gegen Neues irgendwie sträubt, dann aber öffnet. Bewundernswert, wenn jemand seinen Meinungsumschwung sogar offen einräumt. Es sind solche Menschen, die uns weitermachen lassen, trotz Backlash.

Hilal Sezgin

5 Kommentare zu “Sahnetorte

  1. Können wir bitte eine Petition erstellen, aufgrund des brutalen Hundemordes in China.
    Das entsprechende „Publikum “ ist hier wohl eher vorhanden.
    Ich hatte wenig Teilnahme, selbst von Hundebesitzern.
    Was ihren Bericht betrifft über Vegetarier, stört mich die Meinung Anderer sehr wenig , bzw. nicht. Ich bin es seit 30 Jahren, oft gehen auch keine Milchprodukte mehr.
    Eier gehen überhaupt nicht mehr , aufgrund Doku. bzgl. der Behandlung von aussortierten Kücken. Mein Empfinden einer Sache sagt mir wie ich mich verhalten muß. Der Verzicht ist auch kein Verzicht. War als Kind auf einem Bauernhof aufgewachsen mehr mit Kälbern, Ferkeln, Hühner etc. zusammen. Deshalb hatte der Mensch oder seine Meinung eher wenig Einfluß auf mein Tun.
    Bitte überlegen Sie die nötige Petition. Ich sende Ihnen den Text zu. Freu mich auf ihre Nachricht. Danke M. Gläser

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    • Werte Frau Gläser, da sie u.a. schreiben, dass sich selbst Hundebesitzer nicht an Ihrer initiierten Petition beteiligt hätten, nehme ich an, dass Sie im Erstellen einer derartigen Petition über mehr Erfahrung verfügen als ich, da ich so etwas bisher noch nicht bewerkstelligt habe. Somit möchte ich Sie bitten, selbst diese notwendige Petition ins Leben zu rufen und mir dann den Link zur betreffenden Petitions-Seite zwecks Aufruf und Appell zum Unterzeichnen für meinen Blog zuzusenden. Mit lieben Grüssen an Sie – Wolodja

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    • Liebe Frau Gläser,
      Entsprechende Petitionen finden Sie auf den Seiten von Change.org. Hier finden Sie auf der Suchfunktion mehrere themenverwandte Petitionen. Eine davon habe ich hier mal reinkopiert:
      https://www.change.org/p/pr%C3%A4sident-der-volksrepublik-china-stoppen-sie-das-yulin-hundefleisch-festival
      Die Petitionen lassen sich über die sozialen Netzwerke auch verbreiten. Hoffe der kopierte Link lässt sich öffnen, falls nicht, haben Sie hiermit eine kleine Starthilfe.
      Mfg Michael

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  2. Ich erlebe es so, dass gerade Veganer oftmals riesige Freude daran haben, etwas Leckeres zu kochen und dann schön zu essen.
    Bei Facebook gibt es eine Gruppe „Ich packe auf mein veganes Tellerchen“, wo man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt, was die Leutchen so alles ausprobieren und kreieren.
    Sehr lustig finde ich es, wenn hin und wieder über Steinsuppen mit Graseinlage gewitzelt wird. Köstlich! Sich selbst mal ein wenig auf die Schippe zu nehmen und zugleich die dummen Sprüche anderer ad absurdum zu führen, tut wirklich gut.

    Was mir aber große Sorgen macht ist, dass es vermehrt Leute gibt, die sagen: „Was, du sorgst dich um Tiere? Wie kannst du nur, wo es so viele Menschen gibt, die in Not und Elend leben und deren Leben bedroht ist.“
    Ich habe einige solche Kolleginnen. Mit denen ist einfach nicht zu reden. Sie stellen Menschen weit über die Tiere und halten einen für verschroben oder Schlimmeres.

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