Das schwärzeste aller Verbrechen (Teil 1)

„Für mich ist das Leben eines Lamms nicht weniger wertvoll als das Leben eines Menschen. Und ich würde niemals um des menschlichen Körpers willen einem Lamm das Leben nehmen wollen. Je hilfloser ein Lebewesen ist, desto größer ist sein Anspruch auf menschlichen Schutz vor menschlicher Grausamkeit.“
(Mahatma Gandhi)

Zusammengesackten Eseln soll man aufhelfen, verirrte Schafe zurückführen, überhaupt „für sein Vieh“ sorgen. Werden die Tiere im Alten Testament nicht freundlich bedacht? „Hast du Vieh, so warte sein, und bringt’s dir Nutzen, so behalte es.“

Biblischer Tierschutz? Archaischer Respekt vor dem nichtmenschlichen Leben?

Der nackte Egoismus einer Viehzüchterreligion! Da sind sich, wie in so vielen Greueln – doch im krassen Kontrast zum Monismus der alten Asiaten, Indianer – die monotheistischen Gottesanbeter einig: „Allah ist’s, der für euch das Vieh macht“, rühmt der Koran. „Die einen Tiere sind zum Reiten da, die anderen zum Essen. Und ihr habt den Nutzen davon“ (40,79 f.)

Klingt herzlos? Aber nein. Heiße „herrschen“ doch, so das Hirtenschreiben der deutschen Bischöfe 28, 1980, nicht Willkür, Zerstörung, sondern „liebende Sorge, hegendes Wahren“. Oder, so das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz am 4. Oktober 1993: „Fürsorge und Verantwortung“. Bedeute der Begriff „untermachen/unterwerfen“, so 1985 eine „Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz“, nicht etwa „Unterdrückung“ oder „Ausbeutung“. Gott bewahre! Nein: „Das Herrschen des Menschen über die Tierwelt … erinnert an das Walten eines Hirten gegenüber seiner Herde.“ Wie wahr – wenn Sie sich gütigst mit Theodor Lessing erinnern, warum denn der Hirte, auch und gerade der „gute Hirte“, seine Herde hegt? Erstens damit er sie scheren kann, zweitens damit er sie fressen kann.

Gewiß, einige Tiere wurden vor der Sintflut gerettet. Just diese Stelle (Gen. 8,15-19) empfiehlt das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (4. 10. 1993, S. 69) „für die Liturgie“, unterschlägt aber glatt die gleich folgende Fatalität (Gen. 8,20 f.): das teilweise Opfern des geretteten Viehs und der überlebenden Vögel durch Noah auf dem Altar: „Und der Herr roch den lieblichen Geruch …“.

Oh, wir kennen diese Nase! Riecht sie nicht Blut noch immer gern?

Und gleich darauf dröhnt es abermals: „Furcht und Schrecken vor euch sei über allen Tieren auf Erden und über allen Vögeln unter dem Himmel … und über allen Fischen im Meer in eure Hände seien sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, sei eure Speise …“. Und bloß ein Blättchen weiter nach dieser furiosen Freßanweisung, da beehrt Herr Nimrod die Schöpfungsordnung: „Und war ein gewaltiger Jäger vor dem HERRN“: biblischer Aufgang des open air bestivals. Hier ist sie, die hehre Herren-, Heger-, Pflegerlüge, das Halali, das die Kreatur in den Kochtopf jagt – indes für die EKD („Texte“ 41, 1991): „ethisch vertretbar“.

Da die Fressenden, dort jene, die froh sein können, daß man sie frißt.

Las ich doch erst unlängst vom Dogmatikkolleg eines „heute berühmten deutschen Bischofs“, der im Rahmen der Schöpfungslehre erklärte, es könne ja „dem Fisch und dem Hasen gar nichts Besseres passieren, als vom Menschen gegessen zu werden, denn dies entspreche der Rangmäßigkeit der Schöpfungsordnung“ – und wurde von fünfhundert Hörern, sicher gut christlichen, „mit wohlgefälligem Lachen“ belohnt (in: H.F. Kaplan, Hg., Warum ich Vegetarier bin. Prominente erzählen, 1995).

In biblischer Zeit darbte in Israel der Esel lastenschleppend im Frieden wie im Krieg. Schafe (deren eines Bein man, im Rahmen der Schöpfungsordnung, häufig an den Schwanz band) waren eine der wichtigsten Versorgungsquellen. Es gab sehr viele Rinder, die man beim Ziehen, Pflügen, Dreschen mit scharfen Stacheln auf Trab oder auch Gott darbrachte. Nach 1. Kg. 8,62 f. schlachtete Salomo bei der Tempeleinweihung dem Herrn 22 000 Rinder und 120 000 Schafe, alles aus Respekt vor dem Schöpfer und der Schöpfung. Als Leckerbissen galten Rindfleisch, der Schwanz des Schafes und ganz junge Ziegen, während das schlichtere Volksmaul vor allem Fische verschlang. Pferde ließ David, der nichts ohne Gott tat, gern lähmen und liquidieren.

Tiere, die einen Menschen tödlich verletzten, mußten gesteinigt, Tiere, mit denen man koitierte, gleichfalls kaputtgemacht werden. Vielleicht läßt bereits dies kleine Bibelbestiarium ahnen, wie man, mit den Hierarchen der EKD und der Catholica (1985) zu sprechen, für die Schöpfung Verantwortung wahrnahm. Wie „das Tier als beseeltes Lebewesen“ (Gen. 2,17-19) „einbezogen in den Gottesbund“ wird (Gen. 9,8 ff.). „Leben lebt immer auch auf Kosten anderen Lebens“, heißt es in einer weiteren Gemeinsamen Erklärung von 1989 – als sei damit all das vergossene Tierblut gerechtfertigt, neben dem, quantitativ gesehen, das in sämtlichen Kriegen geflossene Menschenblut ganz und gar bedeutungslos erscheint.

Das Elend der Tiere, dieser permanente Massenmord, der eigentlich jeden auch nur halbwegs Sensiblen sofort um den Verstand bringen müßte (und zwar ganz ungeachtet der tiefen Tolstoj-Sentenz: Solange es Schlachthöfe gibt, solange wird es auch Schlachtfelder geben), resultiert im jüdisch-christlichen Raum aus der ebenso albernen wie anmaßend aufgeblasenen Bibellehre von der Gottebenbildlichkeit des Menschen, der „Spitzenaussage alttestamentlicher Anthropologie“ (Walter Gross), aus jenem arroganten Anthropozentrismus also, wonach dicht auf Gott der Mensch kommt und dann erst der Rest der Welt.

Während in der vorchristlichen Rangfolge des Heidentums, im Hellenismus, nach Gott der Makrokosmos rangierte und der Mensch in die Natur eingereiht, nicht über sie gestellt wurde, was für jede evolutive Sicht selbstverständlich ist.

Doch für „die christliche Sicht des Verhältnisses von Mensch und Tier bleibt grundlegend, wie die Bibel … dieses Verhältnis bestimmt“ (EKD, „Texte“ 41, 1991, S. 4).

Im Neuen Testament, in dem das Tier eine viel geringere Rolle spielt, ist ein Wort gleich des ersten Christen bezeichnend. Fragt Paulus doch: „Sorgt sich Gott etwa um die Ochsen? Oder redet er nicht allenthalben um unseretwillen?“

Wie der Völkerverderber (Röm. 1,22 ff.) tiervergötternde Heiden ja auch „Narren“ schmäht, weil sie „gedient dem Geschöpf statt dem Schöpfer“.

Und Jesus vernichtet zwecks Heilung eines einzigen Menschen – eines der fulminantesten, von allen Synoptikern berichteten neutestamentlichen Strafmirakel – zweitausend Schweine. Wieder bestätigt sich das Wort der deutschen Oberhirten beider Konfessionen: „In den Zeichen und Wundern Jesu wird deutlich, zu welcher Herrlichkeit die Schöpfung berufen ist“ – „und sie ersoffen im Meer“.

Später setzen auch die Kirchenväter das Tier infam herab – wie die Frau, die das Juden-Christentum oft dem Tier annähert: Das 3. Buch Mose stellt die Frau den Haustieren gleich. Für den Kirchenlehrer Augustinus ist sie, wie das Tier, nicht nach Gottes Ebenbild geschaffen (mulier non est facta ad imaginem Dei). Und nach Thomas von Aquin, der die Frauen noch selbstherrlicher, noch tiefer demütigt und gegen schädliche Tiere Exorzismen sowie Justizprozesse anrät, kennt das „animal brutum“ nur Fraß und Koitus.

Mit wahrem Haßvergnügen werfen die größten katholischen Heiligen ihren Mitmenschen Tiernamen an den Kopf, bevorzugt andersgläubigen Christen: „Tiere in Menschengestalt“, „Füchse“, „Wölfe“, „tolle Hunde“, „schmutzige Schweine“, „Schlachtvieh für die Hölle“ indes etwa Luther den Heiligen Vater „Krokodil“ tituliert, „Drachen und Höllendrachen“, „Bestie der Erde“, „Papstesel“, „Papstsau“ usw. (Ist ja auch die Frau für Luther „ein Kind“, „ein halbes Kind“, „ein Toll Thier“.)

Entsprechend figuriert das Tier in der christlichen Kunst. Zwar ist es – durch die ferne Erinnerung an seine einstige Dignität, ja Göttlichkeit – noch lange ambivalent, versinnbildlicht zum Beispiel der Fisch (vordem der Fischgöttin Atargatis heilig, dann zur Fastenzeit ein sehr begehrtes Freßprodukt) sogar Christus. Doch unvergleichlich häufiger verkörpern Tiere das Böse. Sie werden verhäßlicht, dämonisiert am schlimmsten die Schlange, die, als der Erde am nächsten, das meistverehrte Tier der Urreligionen ist die in vorbiblischer Zeit Weisheit, Fruchtbarkeit, Wiedergeburt, im Indischen als die sich in den Schwanz Beißende (also Endlose) die Zeit symbolisiert, den Kreislauf des Universums, die menschliche Lebenskraft die Schlange, die man auch im griechischen Delphi, lange vor der Klassik, als Sinnbild des Lebens, der Erneuerung, als sacrum empfindet, bis sie Apollo, der Gott der Vernunft, erschlägt.

Fortsetzung im morgigen Beitrag …….

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